Atomkraft macht Strom nicht billiger – und bleibt das größte Risiko | Rede vom 11.09.2025
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleg*innen! Hurra, der Plattenspieler und das Kassettendeck sind zurück, Spotify wird sich nicht durchsetzen, so in etwa liest sich Ihr Antrag bzw. der Antrag dieser blauen Kolleg*innen zum Thema Kernkraft.
Der Antrag atmet Nostalgie, Verdrängung und ein tiefes Unverständnis wissenschaftlicher Evidenz.
Herr Dr. Kraft, Herr Dr. Schmidt, meine lieben Kolleg*innen aus dem Umweltausschuss,
Sie wirken jedes Mal so, als wollten Sie beweisen, dass man auch mit ganz vielen akademischen Titeln kompletten Unsinn in die Mikrofone sprechen kann.
Gratulation, das ist Ihnen gelungen! Wenigstens das!
Glückwunsch zu Fußnoten ohne Inhalt, Studien aus der Lobbywundertüte und unlogischen Schlüssen, die man eher in einem Brettspiel findet als in seriöser Forschung! Sie berufen sich immer noch auf die Radiant Energy Group, eine Lobbyorganisation, die Neutralität ungefähr so zuverlässig verkörpert wie Zigarettenwerbung die Lungengesundheit.
Das als Grundlage eines Parlamentsantrages zu nehmen, ist ein intellektuelles Eigentor in Reinform. Das kriegen Sie jetzt zurück.
Dann zu Ihrem zentralen Mantra, der Atomausstieg sei ein Fehler. Na ja! Sämtliche unabhängigen Analysen, von Fraunhofer, Agora, DIW – wir sprachen darüber –, kommen seit Jahren einstimmig zu einem anderen Ergebnis: Ein vollständiges Erneuerbare-Energiesystem ist technisch machbar, wirtschaftlich günstiger und sicherer.
Ihre Belege sind nicht nur überholt; sie sind komplett, in jedem einzelnen Punkt, widerlegt. Aber Hoffnung naht – ich habe es Ihnen letztes Mal versprochen –: Wir Linken sind da.
Da leider unsere Erklärung zum CO2 als Treibhausgas anhand eines Sechste-Klasse-Experimentes nicht gereicht zu haben scheint, um Ihnen zu zeigen, dass dieses ein Treibhausgas ist, suche ich jetzt nach einem Grundschulbuch zur Kernkraft.
Ein Blick in den Schengenraum – um mal ein bisschen ernsthafter zu werden – zeigt deutlich: Spanien, Portugal und Dänemark erzeugen längst den Großteil ihres Stroms aus Wind und Sonne.
Frankreich, das noch auf Kernkraft setzt, kämpft dagegen mit Milliardenkosten und maroden Reaktoren wie ich gegen Ihre bescheuerten Zwischenrufe. Jetzt mal Ruhe im Puff!
Ihre Behauptung, Atomenergie garantiere Versorgungssicherheit, hält also nicht einmal dem europäischen Alltag stand.
(Andreas Bleck [AfD]: Verhalten Sie sich mal bitte nicht wie ein parlamentarischer Bürgergeldempfänger! Unfassbar!)
Weniger Chauvinismus hätte ich auch mal gerne!
Mache ich. – Das tut weh, oder?
(Andreas Bleck [AfD]: Wir sind hier nicht im Puff!)
– Ja, da gehen Sie später hin.
Darf ich weitermachen, Frau Präsidentin? Ich bin mir gerade nicht so sicher! Entschuldigen Sie!)
Danke.
Wir schauen dann noch mal in Drittstaaten, weil das Bild dadurch noch klarer wird. Die USA, Großbritannien oder Indien setzen auf neue Atomprojekte; aber die Realität sind explodierende Baukosten, jahrelange Verzögerungen und ungelöste Entsorgungsfragen, siehe Ahaus! Zugleich boomen dort Solar- und Windparks, weil sie schneller, billiger und risikoärmer sind.
Und dann Ihre Vorstellung, man könne abgeschaltete Meiler einfach wieder anknipsen wie ein Nachttischlämpchen: Ihre Argumentation zeigt, dass Sie weder die Logik der Politik noch die Methodik der Wissenschaft verinnerlicht haben – trotz aller akademischen Insignien. Wer ernsthaft glaubt, jahrzehntealte Reaktoren reanimieren zu können, ohne Milliarden für Sicherheit, Rückbau und Personalverschleiß zu verschwenden, hat das Fachbuch mit dem Märchenbuch verwechselt. Ich könnte hier auch Ausführungen von Herrn Hilse, Herrn Krauthausen und Herrn Queckemeyer nennen, deren besonderer Ehrgeiz anscheinend darin besteht, die Latte so tief zu hängen, dass man darüber stolpert.
Die eigentliche Pointe, meine Damen und Herren, zum Schluss ist:
Während Europa und die Welt auf erneuerbare Energien setzen, und zwar aus Gründen der Vernunft, legt die AfD ein Pamphlet vor, das den Charme eines Schulaufsatzes besitzt – aus dem vorigen Jahrhundert, handschriftlich, mit Füllfederhalter.
Vielen Dank.
